Mainzer Hebammenwesen in der Frühen Neuzeit

Landesherrliche Verordnung über die Aufnahme armer ehelich Schwangerer in die Entbindungsanstalt sowie Details zu den Bedingungen für unehelich Schwangere, Mainz

Datum: 07.09.1784

Quelle: Stadtarchiv Mainz 27-356

Überlieferung: Druck

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Kurf. Mainzische Landes-Regierung.

Seine Kurfürstliche Gnaden haben schon zum wesentlichen Wohle Höchst dero Unterthanen, und zum Besten der Menschheit überhaupt, in Höchstdero hiesigen kurfürstlichen Residenzstadt eine Schule der Entbindungskunst1 errichtet, davon der Hauptzweck ist, Geburtshelfer, und Helferinnen zu ziehen. Welche in dieser, zum Besten der Menschheit wesentlichen, und unentbehrlichen Wissenschaft gründlich unterrichtet sind.

Se[ine] Kurfürstliche Gnaden haben nun die weitere gnädigste Entschließung gefaßt, mit dieser wohlthätigen Anstalt auch noch die fernere zu verbinden, daß nicht nur unehelich, sondern auch ehelich schwangere Personen, welchen es an den nöthigen Mitteln gebricht, in eben diesem, noch zur Zeit in dem vormaligen Altenmünsterkloster bestehenden Hospitale, ohne eigene Zahlung, Unterkunft, Speise, Trank, und Pflege finden, allda gebähren, und ihre Wochen aushalten können. Es ist zu dem Ende2

Erstens: Schon die Vorkehre3 getroffen, daß für arme ehelich schwangere Mütter, welche sich dieser Wohltat gebrauchen wollen, ein besonderes Zimmer gehalten, auch bey ihrer Niederkunft von dem allda angestellten Professor der Entbindungskunst niemand, als einige Hebammen, welche in der Lehre sind, zur Beyhilfe zugelassen werden.

Zweytens: ist für die Unehelichschwangern eben auch ein besonderes Zimmer zugerichtet; doch steht auch diesen, so, wie den Ehelichschwangern frey, sich dieser Wohltat zu gebrauchen, oder nicht; ohnehin können sich auch alle, welche es verlangen, mit einem verhüllten Gesichte, und einer mit sich bringenden Masque entbinden lassen.

Drittens: Alle inländischen Personen4, so unehelich schwanger werden, werden, soweit es der Platz gestattet, in dieses Hospital unentgeltlich aufgenommen; sie müßen sich aber des Endes bey dem Professor Weidmann, welcher so, wie der Pfarrer, und überhaupt alle Hospitalsgenossene, auf die Verschwiegenheit ohnehin besonders verpflichtet sind, um die Aufnahme melden.

Viertens: Nebst dem, daß für eine gute Wartung in diesem Hospitale überhaupt schon gesorget ist: so genießen auch alle und jede, so darinn aufgenommen werden, die Verpflegung so, daß an sie deswegen unter keiner Rubrike die mindeste Forderung einer Zahlung geschehen darf; die Unehelichschwangern aber, so im Hospitale niederkommen, haben

Fünftens: noch die weitere Wohlthat zu genießen, daß sie a.) keine sogenannte Bastardgebühren5, wie dieselben Namen haben mögen, entrichten, b.) sobald sie einen Aufnahmsschein des Professors Weidmann aufzeigen können, von der Gefahr der Einthürmung6 sowohl, als einer aufsichtigen Untersuchung der weltlichen Obrigkeit befreyet, und nur gehalten sind, letzterer, auf Erfodern, den Thäter7 namhaft zu machen, und über die übrigen Umstände eine Auskunft zu geben, dergestalten jedoch, daß von ihnen desfalls keine Amtsgebühren gefodert werden können. c.) Sobald dergleichen Personen sich legitimiren, ihr Wochenbett in dem Hospitale ausgehalten zu haben, sind sie von allen weitern Strafen der weltlichen Obrigkeit frey, immaßen der Geistliche des Hospitals schon dafür sorgen wird, daß sie durch geistliche Mittel, und Ermahnungen zum reumüthigen Erkenntnisse ihres Fehlertrittes gebracht werden. d.) Wird den Unehelichschwangern, welche ohne Vermögen sind, und sich bey dem Austritte8 darüber legitimiren können, von dem angeordneten Professor eine kleine Beysteuer gegeben werden, damit sie durch diese Beyhilfe einige Zeit gewinnen, sich um Arbeit, und einen ehrbaren Verdienst wieder bewerben zu können.

Sechstens: Da durch diese Vorkehren den unehelichschwangeren Personen die Mittel geöffnet sind, ohne druckende Nahrungssorgen, und aufsichtige öffentliche Beschimpfung, in dem Hospitale gebähren können: so hat es in Ansicht derjenigen unehelichschwangern Personen, welche sich nicht in das Hospital begeben, so, wie überhaupt in Ansicht der Thäter bey den, in der Verordnung vom 25ten Junius dieses Jahrs, bereits vestgesetzten Strafen, jedoch dergestalten sein Bewenden, daß a.) sämmtliche Untersuchungskosten, so, wie die Zahlung der Bastardgelder, nie den Geschwächten9 , sondern dem Thäter zu Last fallen, und b.) von eben demselben, wenn er etwas im Vermögen hat, und zufällig entdecket wird, auch noch annebst die Zahlung für die, der Impraegnatae10 angediehene Verpflegung an den Hospitalsfond geleitet, im übrigen aber c.) alle diejenigen Personen, welche in den Vicedomämtern in und ausser der Stadt, so, wie im Rheingau, auch in den Ober- und Aemtern Höchst und Algesheim, unehelich schwanger werden, und sich der Wohlthat des Hospitals bey ihrer Niederkunft nicht gebrauchen, mit dem Duplo11 der in erwähnter Verordnung bestimmten Strafen belegt werden sollen. Die nämliche Erhöhung der Strafe trift auch diejenigen, welche, um der Ahndung der weltlichen Obrigkeit zu entgehen, zwar einen Annahmsschein bey dem Professor Weidmann ausbringen, nach der Hand aber nicht in das Hospital gehen, sondern ausser demselben niederkommen. Uiberhaupt hat es indessen dabey sein Bewenden, daß alle diese Strafgelder, so, wie sie an die kurfürstliche Regierung von den kurfürstlichen Aemtern nach und nach eingeschickt werden, blos zu Unterstützung und Unterhaltung derjenigen schwangern Personen, welche sich nach Hilfe und Pflege in dem Hospitale sehnen, verwendet werden.

Siebtens: verbleibt es bey dem Inhalte der Verordnung vom 8ten April 1783, vermög welcher die unehelichgeschwächten Personen verbunden sind, ihre Schwangerschaft entweder bey dem oberwähnten Professor der Entbindungskunst, wenn sie in dem Hospitale niederkommen wollen, oder aber bey der weltlichen Obrigkeit anzeigen zu lassen, in so fern sie der auf den Verschweigungsfall vestgesetzten schwereren, unverbittlichen Strafe entgehen wollen.

Achtens: werden zwar auch fremde unehelichschwangere Personen, welche hier niederkommen wollen, aber nicht anderst, als gegen billige, leidliche Bezahlung in das Hospital aufgenommen; diejenigen Fremde aber, so in § 6. benannten kurfürstlichen Aemtern niederkommen, und sich in das Hospital aufnehmen lassen, sollen überhaupt, statt der Strafe, zu Bezahlung 20 Reichsthaler an das Hospital angehalten werden.

Wir unverhalten hiermit diese höchste Willensmeynung S[eine]r Kurfürstlichen Gnaden, und weisen die kurfürstlichen Aemter an, dieselbe gehörig bekannt zu machen, zu erklären, und in Vollziehung zu setzen. Mainz den 7ten September 1784.

Freyherr von Frankenstein


  1. Gründung der Entbindungsanstalt und -schule (Accouchement) am 7.6.1784.
  2. zu diesem Zweck.
  3. Vorkehrung.
  4. Inland=Kurfürstentum Mainz.
  5. Gebühren, die gezahlt werden mussten, wenn das Kind als sogenannter “Bastard”, also als uneheliches Kind, zur Welt kam.
  6. Gefangennahme im (Gefängnis-)Turm.
  7. Mit Täter ist derjenige Mann gemeint, durch den die Frau schwanger wurde.
  8. Entlassung aus dem Krankenhaus.
  9. Die von dem Mann geschwächte, d.h. die Mutter des Kindes.
  10. die Schwangere, bzw. Geschwängerte.
  11. mit dem Doppelten.